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Denk-Plastik und Sprach-Bilder
NEUE ARBEITEN VON NIKLAUS LENHERR
Spaziergänge
Jüngst schrieb Niklaus Lenherr, er gehe seit längerem davon aus, dass Gedanken, Ideen und Visionen plastisch seien. «Ein Gebirge, ein topografisches Volumen also.» So spricht ein Plastiker. Und er führt uns diese Landschaft des Denkens und des Träumens weiter vor Augen – mit «Felsen, Schluchten, Wiesen, Gipfeln, Wasserläufen, Wäldern.»* Lenherr geht in diesem Gelände seit Jahren ein und aus – mal als Flaneur, mal als Wanderarbeiter. Da betritt er ein Tal der Literatur, dort betrachtet er einen Gipfel der Dichtung, oder er verweilt an einem Flusslauf der Musik. «Oh, Du schöne Müllerin.»
Urbane Stücke
Nun ist er mit neuem Gepäck unterwegs, einer Reisekiste gleich, in die er plastische Elemente eingeräumt hat. Er trägt sie mit sich, die «Color-Urban-Pieces». Sie wurden aus PVC-Hartschaumplatten gefertigt, gelb, blau, rot, weiss und schwarz, höchstens 60 x 45 Zentimeter gross und wenige Millimeter dick. Die Formen beruhen auf einem modularen System: Die Platten teilen sich sozusagen in vier mal drei Felder, die je 15 x 15 Zentimeter gross sind. Entlang dieser imaginären Rasterlinien wurden sie ein- und ausgeschnitten. Es blieben O- und U-, F- und L-Formen, und auch die Abschnitte (Quadrate, Rechtecke etc.) wurden im Kasten untergebracht. Es ist ein Baukasten – zum plastischen Gebrauch.
Die etwas grössere Version des Sets hat er vor knapp einem Jahr schon einmal ausgebreitet – oder eigentlich eben doch nicht. Geschichtet lagen die farbigen Teile auf dem Boden des Kunstmuseums Luzern. Man sah eigentlich nur die obersten Formen, die darunter liegenden waren teilweise verdeckt. So stellte sich damals manch einer die Frage, was es mit diesen PVC-Platten auf sich habe. Nun kommen sie ins Spiel, bauen sich vor dem Betrachter auf. Die Formen lehnen aneinander, ein Rechteck durchdringt ein O, ein U ein auf dem Kopf stehendes A. Rote Teile grenzen an blaue, Weiss steht neben Schwarz und Gelb. Die Dinge fügen sich zu einem plastischen Gebilde, zu einer Architektur, vielleicht auch zu einer jener Topographien, die für den Künstler bildhaft für Gedanken, Ideen und Visionen stehen. Mitunter erinnert die Anordnung an einen bunten typographischen Wald; die Einzelteile haben wir ja schon – vorerst nur um sie klarer vor Augen zu führen – mit Buchstaben verglichen.
Am Schluss der Ausstellung wird Lenherr die Einzelteile seines Baukastens einpacken um sie andernorts wieder aufzustellen. Die neuen räumlichen Gegebenheiten werden neu gelesen und bringen neue Konstellationen hervor. Die normierten Teile des Systems bleiben also, wie dies bei jedem Baukasten so ist. Die «Color-Urban-Pieces»– als Summe ihrer Teile betrachtet – werden dieselben sein, sich von Ausstellung zu Ausstellung aber in stetem Wandel befinden.
Das Gleiche und das andere
Normierte Teile spielen in Lenherrs künstlerischem Schaffen seit jeher eine grosse Rolle. Etwa die Bau-Schal-Tafeln, die er von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre für plastische Eingriffe verwendet hat. Die Bretter, die gemeinhin zum Betonieren oder für Bauabschrankungen genutzt werden, haben einen standardisierten Aufbau, die immer gleiche Dicke, sind in den immer gleichen Massen lieferbar. Lenherr reiste mit diesen Schal-Tafeln sozusagen von einer Ausstellung zur andern, um – der architektonischen oder topographischen Situation entsprechend – neue, auf den Ort bezogene Arbeiten zu verwirklichen. Was er an diesem Werkstoff geschätzt hat, war (abgesehen von praktischen Gründen) wohl auch das Wechselspiel zwischen gleich bleibendem Industriestandard und immer neuen formalen Möglichkeiten. Für andere Materialien, die er im Laufe der Jahre verwendet hat, wie Plastik-Absperrungsnetze oder Dachlatten, gilt Ähnliches. Was die «Color-Urban-Pieces» mit den früheren Arbeiten verbindet, ist, dass Lenherr am Normsystem festhält. Was sie unterscheidet, ist, dass er hier nicht mehr auf vorgefertigte Elemente zurückgreift, sondern sie selbst entwickelt hat. Und was auch bleiben dürfte, ist der Reiz am Wechselspiel zwischen Vorgegebenem und gestalterischer Freiheit. Zu Lenherrs künstlerischem Werk gehört auch, dass er in verschiedenen Medien arbeitet, zum Beispiel als Plastiker und als Druckgraphiker, dass sich zwischen den verschiedenen Sparten seiner Tätigkeit aber immer wieder ein Zusammenhang einstellt. So nutzte er die Schal-Tafeln Mitte der 90er Jahre als Druckstöcke für grosse graphische Blätter. Auch mit dem kleinsten Standard-Element der «Urban-Color-Pieces», dem 15 x 15 Zentimeter grossen Rasterfeld wurde wieder gedruckt. Das PVC-Quadrat mit den elegant gerundeten Ecken prägt sich auf den Blättern der «Possible-Color-Sheets» in Rot, Blau, Grün oder Schwarz ab. Mal nur eines oder wenige, mal bis zu sechs. Selten überschneiden sich zwei. Die Plazierung der Elemente auf dem Papier folgt dabei einem groben Raster: zwei Reihen mit höchstens je drei Quadraten übereinander und mit je fixen Seitenabständen. Innerhalb dieser Vorgaben sind die Formen und ihre Farben aber frei gesetzt. Neben der Regelhaftigkeit und der selbstbestimmten Norm hatten beim Druckvorgang die Intuition und wohl auch der Zufall seinen Platz. Sie auszuschliessen, käme Niklaus Lenherr, der gelegentlich mit dem Konstruktivismus oder der konkreten Strömung in Zusammenhang gebracht wird, vermessen vor.
Sprachbild
Von den «Color-Urban-Pieces» als typographischem Wald wurde bereits gesprochen. Und es ist nicht das einzige Werk des Künstlers, das einen Vergleich mit Buchstaben oder typographischen Situationen provoziert.** Uns dienen die buchstabengleichen plastischen Stücke hier als Bindeglied zwischen drei Feldern, die sich in der Ausstellung überlagern: der Plastik, dem Bild und der Sprache. Lenherr initiierte in den letzten Jahren immer wieder Bild-Lyrik-Projekte. Folgt man dieser Spur den Titeln nach, kommt man von «Orten» (2001) zu «Sichten» (2002) zu «Blicken» (2004). Gemeinsam ist ihnen, dass der Künstler den Autorinnen und Autoren eigene Fotografien oder Postkarten(-Ausschnitte) vorlegte, auf die sie mit Sprache antworteten. Der Künstler als Organisator und Mittler. Oder um eine Zeile von Klaus Merz aus dem letzten Buchprojekt abzuleiten: «Still, Niklaus Lenherr führt Dichter spazieren. «Natürlich nicht in dem Sinn, dass er sie an die Hand nähme; eher schon, dass er sie mit seinen Bildern auf Sprachreise schickt. Er legt dabei die Spielregeln fest und bestimmt das Ausgangsmaterial. Dann aber öffnet sich das Projekt, entwickelt eine Eigendynamik, die er weder kontrollieren möchte noch könnte. In «Blicken» reagierten so Zsuzsanna Gahse und Klaus Merz wechselseitig auf vorgegebene Postkarten-Ausschnitte, wobei die Beginnende, nach einem Zwischenspiel des Autors, wieder die Schlusszeilen schrieb (oder umgekehrt). Aus den Bruchstücken Schweizer Klischeelandschaften entwickelte sich so eine dichterische Wechselrede – oder eine kleine Geschichte in gegenseitiger Aufnahme und Widersprache. Derselben Autorin und demselben Autor hat er für die Ausstellung in Meggen je sechs eigene Fotografien aus Luzern und Aarau zur Verfügung gestellt. Sie verfassten dazu kurze Sätze oder auch nur ein Wort. Bild- und Sprachstücke, genannt «Portraits», hängen nun als doppelseitige goldgelbe Clichés von der Decke – ein druckgraphisches Objekt «avant tirage». Vorne das Bild, hinten die Wörter. Einer Landschaftsaufnahme steht so «Gleich fangen die Alpen an» entgegen. Von «hoher Zukunft …» und «… den Eigenschaften der Sechsecke» ist bei Gahse die Rede. Dem Bild einer Stahlhalterung antwortet Merz mit «götterdämmerung», der Aufnahme eines heruntergekommenen Kellereingangs mit «schimmelreiten». Und auf einem Bild sieht man die Spiegelung in einer Fensterscheibe: Frauen mit Einkaufstüten stehen vor ihr und Lenherr – der Bilderzeuger – mit der Kamera vor dem Auge. Wie aber, kann man sich fragen, ordnet sich dieses fortlaufende Bild-Lyrik-Projekt («Orten» – «Sichten» – «Blicken») ins übrige Werk des Künstlers? Es muss eine plastische Arbeit sein.
* Niklaus Lenherr: Sinnlich ( Selbstgebrannt), in: du. Zeitschrift für Kultur, H. 747, Juni 2004, S. 96.
** Vgl. Jürg Nyffeler: Niklaus Lenherr. Soft-Color-Piece 2000. edition 5 (Beiblatt), Erstfeld 2000.
Ulrich Gerster
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