zurück
back

Vernissage-Rede
NIKLAUS LENHERR – «ETWAS IST IMMER IST ETWAS»
(in Kollaboration mit Max Huwyler)

Galerie Hofmatt, Sarnen, 27. August 2005

Liebe Vernissagebesucher
Vor etwa einem halben Jahr bekam ich von meinem früheren Sekundarschullehrer eine Karte, auf deren Bildseite ein kleiner Text stand. Er handelte von zwei Nashörnern und kulminierte in folgendem Geschehen: «Ein Nashorn stiess einmal mit einem Nashorn zusammen. Der Zusam-menprall war so heftig, dass beiden Nashörnern die Hörner von der Nase fielen. Nun gab es mit einem Mal zwei Nashörner ohne Nashörner und zwei Nashörner ohne Nashörner. Zwei Nas-hörner blieben im Grase liegen. Zwei Nashörner liefen ins Gebüsch.»

Max Huwyler ist der Autor, und die kleine Geschichte zeigt vieles, was sein Schreiben ausmacht. Wörter stossen in seinen Texten zusammen (fast wie Nashörner) und überrasch-ende Wendungen bringen paradoxe Situationen hervor; dass das Nashorn eben das eine und das andere sein kann; das, das im Grase liegt und das, das sich in die Büsche schlägt. Ein kleiner Spalt öffnet sich zwischen dem Wort und seiner Bedeutung und aus ihm hüpft uns hinterhältig wie ein Springteufel der Sprachwitz des Autors entgegen.

In dieser Ausstellung sind verschiedene Kurz- und Kürzesttexte von Max Huwyler zu finden. Im Panoramasaal etwa auf einer Stoffbahn. Wie Kaskaden fliessen die immer gleichen (und für die Ausstellung titelgebenden) Worte von der Decke: «etwas ist immer ist etwas». Auch hier stossen zwei Kurzsätze – etwas ist immer und immer ist etwas – im mittleren Wort aufein-ander. Eine fast gleiche Bedeutung spiegelt sich im gespiegelten Wortgebilde, einem Palindrom gleich. Und sperrig braucht man das Wort immer eigentlich zweimal und hat es nur einmal. Das Wortgebilde erinnert natürlich auch an Gertrude Steins berühmten Satz «a rose is a rose is a rose» – sowohl in der Aussage-Wiederholung wie auch im rhythmisierten Sprachbild.

Plötzlich taucht in den Texten etwas Unvorhergesehenes auf; eine Wendung oft nicht zum Guten. Eine neue Tiefenschicht wird aufgerissen, wie hier im Gang der Galerie: «s land verkauft / de bode / verloore / under de füess». Der Landverkauf gerät auf einmal zum Identitäts-verlust. Und eine Weltreise bringt auch nichts. Denn: «überall / geht die / sonne / unter». Und das alles umfassende «oben und unten» verengt sich nach der x-ten Wiederholung zur zwingenden Alternative, die eine Entscheidung fordert: «oben oder unten».

Man könnte den Eindruck bekommen haben, es sei bisher nur von Max Huwyler die Rede gewesen. Und gar nicht von Niklaus Lenherr. Dem ist eigentlich nicht so; denn dass die Sprachwerke hier sind und wie sie ins Werk gesetzt wurden, hat viel mit Lenherr zu tun.

Ich möchte in Bezug auf den Künstler nun nicht Arbeit um Arbeit, Saal um Saal dieser Ausstellung durchgehen. Vielmehr versuche ich drei – wie es mir scheint – Grundprinzipien seines Schaffens herauszuschälen und anhand von Arbeiten, die hier zu sehen sind, kurz zu erläutern. Es sind dies die Aspekte:
- der Kooperation
- des Material-Recyclings und
- des plastischen Denkens.

Von der Kooperation war bereits die Rede: Für diese Ausstellung hat der Künstler Max Huwyler eingeladen Kurztexte zu schreiben. Das Verfahren hat bei Lenherr Tradition; in beinahe allen wichtigen Einzel-Ausstellungen (die dann eben eigentlich keine mehr sind) fand sich dieses Fremdmaterial – Einschlüssen in einem Stein gleich. Und die bedeutendsten Publikationen des Künstlers beruhen konzeptuell oft auf der Zusammenarbeit mit Autoren. Es führt ein Weg der künstlerisch-schriftstellerischen Kooperation vom Bild-Text-Projekt Orten (1999) über die Ausstellung im Nidwaldner Museum Sichten (2002) zum Buchprojekt Blicken (2004) und zur letztjährigen Ausstellung Vergegenwärtigen in der Gemeindegalerie Meggen. Dies wirft die Frage nach dem Fremden und dem Eigenen auf. Lenherr schlüpft abwechslungsweise in die Rolle eine Spielleiters, eines Organisators, eines Mittlers zwischen den Künsten. Getragen ist dieses Tun wohl von der Einsicht, dass die Welt der Kreativität grösser ist als das eigene Gärt-lein. Lenherr zapft dieses Potential, diese Kraftfelder einerseits an, initiiert andererseits die Pro-jekte und damit das Schaffen dritter. Am Schluss steht in welcher Form auch immer (und For-men hat er hierfür verschiedene gefunden) ein gemeinsames Werk; an das Lenherr je nach Fall Bildmaterial, Spielregeln oder die gültige Werkform beigetragen hat – und der Autor den Text.

Das Materialrecycling ist eine beständige Konstante im Schaffen von Niklaus Lenherr; hat er ein Material einmal verwendet, kann man fast sicher sein, dass es – in anderem Zusammenhang – wieder auftaucht. Sein Lager ist daher nicht Aufbewahrungsort von Vergangenem, sondern materielle Grundlage für neue Projekte. So tauchen die gleichen Schaumstoff-Teile in dieser und jener plastischen Arbeit auf. Und warum soll man mit Schaltafeln oder einem PVC-Stück nicht auch drucken können? Hier ist es diese weisse, hellblau gepunktete Serilit-Matrize, die im «Kunst am Bau»-Projekt des EWL-Unterwerks Littau als eine Art Druckklischee diente. In drei verschiedenen Arbeitsgruppen materialisiert sie sich neu als Werk: als Trägermaterial sowohl für die Texte von Max Huwyler wie auch für Lenherrs Zeichnungen von architektonischen Fragmenten und Situation. Und als Stoff der plastischen Arbeit im Keller. Und man mag über-rascht sein, wie unterschiedlich das Material zur Geltung kommt: bei den Texten ein diffuser Hintergrund; bei den Zeichnungen beinahe ein Himmel mit Schönwetterwolken (der die Architekturen nahezu gläsern erscheinen lässt); während im Keller einzelne Motive des ursprünglichen Bildes noch zu lesen sind.

Man könnte von Material-Ökonomie oder gar einer ökologisch sinnvollen Wiederver-wertung sprechen. Entscheidender erscheint mir aber, dass diese Wiederverwendung ein Art Unterströmung zwischen verschiedenen Werken in verschiedenen Zeiten herstellt, einen nahe-zu energetischen Zusammenhang, der das Neue mit dem Alten verbindet. Im Unterwerk Littau war es ein 20 Meter langes, wandfüllendes Bild bauchiger Flaschen, die Lenherr als Symbol für den Energiespeicher eines Elektrizitätswerkes setzte; an diesen Energievolumen (und am Ener-gievolumen seiner eigenen Arbeit) partizipieren nun die neuen Werke hier in der Ausstellung.

Zum Schluss: das plastische Denken. Niklaus Lenherr ist ein Plastiker von Haus aus. Eine grosse plastische Arbeit befindet sich im Kellergewölbe: Die hellblau gepunkteten Druck-matrizen fügen sich zu einem schwebenden Paravant, der sich halb der Wand entlang, halb in den Raum hinein bewegt – das Material der zweidimensionalen Beton-«Druck»-Arbeit spannt sich in die dritte Dimension. Aber nicht weil Lenherr Plastiken schafft, soll hier von plastischem Denken die Rede sein. Der Künstler schrieb selbst: «Ich gehe seit Zeiten davon aus, dass Gedanken, Ideen und Visionen plastisch sind.» Unvermittelt erinnerte mich die Wendung an den zentralen Begriff eines der grössten Künstler der europäischen Nachkriegsgeschichte, an Beuys und seine «soziale Plastik».

Beuys sah die Arbeit an der «sozialen Plastik» als eine Tätigkeit, die das eigene Schaffen weit überstieg, andere Menschen und ihr Tun einbezog und ins Gesellschaftspolitische hinein-reichen sollte. In grossen Installationen gerann dieses Schaffen (mit Eigenem und Fremdem, aus Aktionen, Diskussionen und Seminaren) sozusagen zum Werk. Lenherr spannt seinen Begriff der Plastik nicht so weit. Bezeichnend ist aber, dass das, was er Plastik in weiterem Sinne nennt, die Sparten der Kunst übergreift und auch verlässt: es reicht vom eigenen Kochen (wie er zu Beginn der 90er Jahre bemerkte) bis zu den Visionen von anderen: von Dichtern, Architekten und Musikern. Damit lässt sich auch die stete Arbeit in Kooperationen etwas genauer klären: Sie ist Bestandteil einer gedachten Plastik.

Kunst ist immer ist Kunst, könnte man in Anlehnung an den diesmaligen Kooperationspartner Max Huwyler (und vielleicht auch mit einem leichten Anklang an Beuys) sagen. Mindestens bei Niklaus Lenherr. Und um ihn herum.

Ulrich Gerster